In meiner Kindheit hatte ich das unsagbare Glück, mit meinen Eltern am Rande eines kleinen Hafenstädtchens an der Westküste Irlands zu leben. Wir machten ausgiebige Wanderungen an den einsamen Stränden, der zerklüfteten Küste und im Landesinneren, an den Seen, Flüssen und zu Monumenten alter Zeiten. In diese magischen Welten einzutauchen war für die fantasievolle Kinderseele Nahrung im Überfluss.
In meiner Erinnerung befand ich mich spielend mit Kindern, streunenden Hunden und der Katze fast nur draussen „auf der Gasse“ - einer auf einem Hügel gelegenen, ruhigen Stichstraße. Sie endete am grasigen Hügelrücken mit seinen urigen Steinmäuerchen, der zur Linken sanft Richtung Kleinstadt und Atlantik auslief und zur Rechten an den Tafelberg anschloß. Die Empfindung die ich zu diesem Bild habe ist heute so präsent wie damals. Ich kann förmlich diesen salzig schmeckenden Wind riechen und auf der Haut spüren. Die Luft erscheint hell und klar, die Farben kontrastreich leuchtend. Mir ist, als fliegen kleine Wesen tänzelnd und leicht über des Gras dieser mit Zauberkraft erfüllten Landschaft.
Ich atme das alles tief in mich hinein und spüre tiefes Verbundensein mit der Natur, ihren Wesen und mit mir selbst.
Viele Jahre später suchte ich diesen Ort erneut auf, offen und neugierig, um mich zu vergewissern, ob mir meine kindliche Fantasie einen Streich gespielt hatte oder dieser Landstrich wirklich so beseelt ist. Zwischenzeitlich wurde der ganze Hügel bebaut und die ruhig gelegene Sackgasse zu einer Durchgangsstraße ausgebaut. Doch unabhängig davon war und ist der Geist dieses Ortes in seiner Magie ganz präsent zu spüren.
Warum erzähle ich das?
Sensibel, sensitiv und medial veranlagt, konnte ich mich von Kindheit an emphatisch in andere hineinversetzen, die Stimmungen meiner Mitmenschen körperlich empfinden und Atmosphären in Räumen und in der Natur spüren. Auch trug ich in mir die tiefe Gewissheit, dass es etwas Größeres, Alles-Verbindendes gibt. Mit Tieren, den eigenen und fremden, verband mich eine vertrauensvolle Nähe. Sie waren mir unersetzliche Spielgefährten. All das war für mich selbstverständlich - damals.
Von Eindrücken, Stimmungen und Gefühlen vollgesogen wie ein Schwamm, ging es später erst einmal darum, unterscheiden zu lernen, was meins ist und was nicht, was echt ist und was unecht und vor allem, was mir gut tut und was nicht - die Arbeit an mir selbst begann.
“Ich wollte ja nichts als das zu leben versuchen, was von selber aus mir heraus wollte. Warum war das so sehr schwer?”
Hermann Hesse, Demian. Die Geschichte von Emil Sinclairs Jugend
"Aber es war ein weiter und mühsamer Weg für mich, bis ich lernte, in Dunkel und Dämmerung die drei Lichter der kleinen Veronika anzuzünden. Die erahnte Wirklichkeit davon besaß ich als Kind, wie wir alle, die bewußte Wirklichkeit habe ich mir erst erwerben müssen. Wenn aber diese drei Lichter brennen, scheint einem das Dasein trotz aller Widersprüche sinnvoll zu sein, man fühlt sich eins mit dem All, mit Menschen, Tieren, Pflanzen und Steinen, mit den Kräften in der Erde und mit den Sternen über ihr – und "Gestern, Heute und Morgen ruhen in einem Schoß“."
Haus der Schatten, Garten der Geister. Aus meinem Leben/von Manfred Kyber